Der Urlaubs-Traum

"Erika", ruft die Mutter aus dem offenen Küchenfenster "magst du ein Stück Kuchen?" "Ja" kommt es zurück. Erika sitzt auf der kleinen Gartenbank. Im linken Arm hält sie ihr Lieblingskätzchen, im rechten die Puppe, die sie erst in der vorigen Woche zum Geburtstag bekommen hatte. "Apfelkuchen, den magst du doch besonders gerne", sagt Mutter und hält ihr den Kuchenteller hin. Erika strahlt übers ganze Gesicht. "Nun nimm endlich, ich kann doch nicht ewig dastehen und warten". Erika weiß gar nicht, was sie machen soll. Hilflos schaut sie ihre Mutter an, dann auf ihre Hände mit den Schätzen. "Kind, irgendwas musst du eben loslassen und weglegen, sonst kannst du deinen Kuchen nicht essen."
Der Wecker schrillt. Erika Müller schreckt hoch und blinzelt ganz vorsichtig. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. "Na so was", murmelt sie, "über 40 Jahre ist das schon her. Seltsam, dass ich das nun träume". Sie sieht sich direkt noch auf dem Gartenbänkchen sitzen…
Langsam öffnet sie die Augen. Da stehen die Koffer, und viele Dinge liegen noch zum Einpacken herum. Nun ist sie hellwach. In den Urlaub soll es heute gehen.
Ausspannen – das hat sie nötig. Ihre Gedanken gehen zurück in die letzten Tage und Wochen.
"Am besten, wir fahren gar nicht erst weg", dachte und sagte sie oft,"es ändert sich ja doch nichts. Den Alltag und so vieles, was mich belastet, nehme ich mit in den Urlaub, die Probleme mit den Kindern zum Beispiel. Ich müsste das abstreifen und hier lassen können".
Ihre Gedanken wandern noch weiter zurück. Wieder in den Garten. Wieder zum Traum. "Du musst etwas loslassen und weglegen", hört sie ihre Mutter sagen…Blitzartig wird ihr klar: "Das ist es – loslassen und weglegen. Anstatt zu sinnieren und zu jammern: ich sollte, ich müsste…"
Nun hat sie doch Lust, in Urlaub zu fahren. Sie will es versuchen: loslassen, weglegen und sich auf neue Erlebnisse einlassen.

Irmgard Friedrich